Stolpersteine für Jesberg - Bahnhofstraße Nummer 13

Stolpersteine für:

Ilse Rosenbaum (Salomon) und Rolf (Wolf) Salomon


Ilse Rosenbaum wurde aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen am 11. Januar 1922 in Marburg geboren. Sie verbrachte ihre Kindheit und Jugend in Jesberg, wo ihre Eltern Johanna und Hermann Rosenbaum als erfolgreiche Geschäftsleute tätig waren. Waren Ilses Kindertage anfangs noch glücklich, änderten sich die Lebensbedingungen der jüdischen Bevölkerung nach der Machtübernahme der NSDAP am 30. Januar 1933 im Deutschen Reich radikal. Das blieb auch für Ilse nicht folgenlos.

1934, im Alter von 13 Jahren, schickte deshalb Ilses Vater die Tochter zusammen mit der Mutter nach Frankfurt a.M. bzw. Darmstadt, weil er wohl glaubte, in der Anonymität der Großstadt wären sie sicherer als auf dem Land, wo damals jeder seine Nachbarn kannte. Die Erfahrungen, welche die Jugendliche in Jesberg machen musste, nennt ihre Tochter Jane später einfach nur „schrecklich“.

Ilse war dann seit Mai 1936 in Dessau, 1937 und 1938 in Darmstadt. Hier arbeitete sie in der Privatklinik von Dr. med. Rosenthal. Im Jahr 1939 ging sie kurzzeitig nach Frankfurt a.M. Zunächst arbeitete Ilse, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen als Putzfrau, später als Angestellte im jüdischen Krankenhaus. Von 1939 bis 1941 war sie auf einem Gut in Polenzwerder bei Berlin. Ihre Tochter Jane schrieb später: „Junge Leute, die damals nach Israel gehen wollten, die sich verpflichtet hatten, in Israel zu arbeiten, wurden in einen Kibbuz in der Nähe von Berlin namens HavShirah [Hachschara] geschickt. Sie schaffte es nie nach Israel“. Im Jahr 1942 kehrte sie kurz nach Frankfurt a.M. zurück. Ihre letzte Adresse in der Stadt lautete: Oscar-von-Miller-Straße Nummer 7.

Nach den Pogromnächten kamen auch Ilses Vater und ihr Bruder nach Darmstadt. Wenig später verzog die Familie wieder nach Frankfurt a.M. Am 24. September 1942 wurde Ilse in der Mainmetropole inhaftiert und anschließend deportiert. Die Fahrt der 250 jüdischen Menschen ging über Berlin, wo am 26. September 1942 weitere 1.000 Personen hinzukamen, nach Riga in Lettland. Doch das Lager Riga war überfüllt. Deshalb stiegen nicht alle Deportierten aus, etwa 250 verblieben im Zug. Darunter befand sich Ilse, sie kam schließlich nach Raziku (Raasiku) in Estland, ca. 30 Kilometer von Tallinn (deutsch Reval) entfernt. Sie blieb drei Monate in Jägala, in der Nähe von Raziku. Danach kam sie nach Tallinn. Hier wurde sie in ein Stadtgefängnis gebracht. Zusammen mit einer anderen Jüdin musste Ilse nun etwa neun Monate lang in einer Zelle leben. Später wurde Ilse in verschiedene andere Lager in Estland verschleppt. Ihre Nahrung bestand nur einmal täglich aus Wasser und Brot, so dass sie schon bald nur noch 40 bis 45 Kilogramm wog.


Passbildfotografie, ca. 1946, von Rolf (Wolf) Salomon (Ancestry) 


Dies war kein Wunder vor dem Hintergrund der harten körperlichen Arbeit, die sie verrichten musste. Sie musste Bäume fällen, Baracken bauen und z.B. für die Philipp Holzmann AG aus Frankfurt a.M. an Werftgebäuden in Tallinn arbeiten.

Später wurde Ilse mit einem Lastkahn nach Stutthof bei Danzig gebracht, wo sie etwa einen Monat blieb, bevor sie nach Bydgoszcz (Bromberg) in Westpreußen verschleppt wurde, wo sie Gleisarbeiten verrichten musste. 

Hier blieb sie am Kriegsende etwa ein halbes Jahr. Als sich die Rote Armee näherte, beschloss Ilse zusammen mit einer kleinen Gruppe von Frauen, zu fliehen. Sie waren tagelang zu Fuß unterwegs und hatten Glück nicht entdeckt zu werden, ehe sie im Januar 1945 von den Sowjets befreit wurden.

Ilse kehrte nach Kriegsende zunächst nach Frankfurt a.M. zurück, um im gleichen Krankenhaus, in dem sie zuvor gearbeitet hatte, anderen jüdischen Holocaust-Überlebenden zu helfen. Hier traf sie ihren späteren Ehemann und Auschwitz-Überlebenden Rolf Salomon (Jahrgang 1912) wieder, der seine zweite Ehefrau in der nationalsozialistischen Shoah verloren hatte. Ilse hatte Rolf Salomon bereits in Jesberg kennengelernt. Rolf Salomon, ein gelernter Krankenpfleger, hatte die Haft in den Lagern von Auschwitz, Buchenwald und Bisingen, einer Außenstelle des Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof im Elsass sowie Dachau, zwischen den Jahren 1943 und 1945 überlebt. Gemeinsam beschlossen Ilse und Rolf, im August 1945 nach Jesberg zu gehen, wo sie am 6. August ankamen. Hier eröffneten sie ein kleines Kaufhaus, welches schnell gute Umsätze machte. Ilse war als Geschäftsführerin tätig, während Rolf für ein den Ein- und Verkauf zuständig war. Einigen Deutschen waren die Salomons wohl zu erfolgreich, so dass es schon bald wieder antisemitische Anfeindungen gab, die bis zur Todesdrohungen gingen.

So wenig wir heute nachvollziehen können, dass Ilse zurück nach Jesberg kam, so sehr ist es aus dem historischen Kontext verständlich. Die Überlebenden des Holocausts waren entwurzelt, traumatisiert, ihre Familienbande gekappt. In ihrer Verzweiflung blieb oft nur der Heimatort, zumal dort auch Nachforschungen betrieben werden konnten, ob es weitere Überlebende aus der Familie gab.

Trotz alledem heirateten Ilse und Rolf am 5. November 1945 in Jesberg, nachdem sie in der Bahnhofstraße, dieses Mal in der Bahnhofstraße Nummer 13, dem Nachbarhaus ihres elterlichen Geschäfts, ihr neues Geschäft gegründet hatten. Gewohnt haben sie aber in der Bahnhofstraße Nummer 22. Bei ihrem Neustart in Jesberg hatten sie in Jack (Jakob) Katz (Jahrgang 1909, dem Sohn von Aron Katz) eine große Hilfe. Er war als Jesberger und deutscher Jude in die USA geflohen und nun als amerikanischer Besatzungssoldat nach Deutschland zurückgekehrt.

Mit der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter Ruth, die am 29. Mai 1946 in Fritzlar geboren wurde, schien das Glück von Ilse und Rolf perfekt. Aber die Wunden der Vergangenheit waren einerseits wohl doch zu groß, andererseits hatten sie nicht mehr die Kraft, sich den antisemitischen Anfeindungen zu widersetzen. Ende 1946 beschloss die Familie deshalb, in die USA auszuwandern.


Ilse und Rolf Salomon mit Tochter Jane im Jahr 1948 (Fotografie: Archiv Jane Salomon Rundell)



Am 7. oder 8. November 1946 gingen Ilse und Rolf aus diesem Grund nach Frankfurt a.M. in ein Auswanderungslager. Etwa zwei Wochen später wechselten sie in ein Auswanderungslager in Bremen, wo sie vom 19. November 1946 bis zum 8. Januar 1947 verblieben. Von dort verließen sie am 10. Januar 1947 Deutschland in Richtung USA.

Am 31. Januar 1947 kamen die drei Salomons in New York an. Später lebte die Familie in Chicago, wo die Töchter Jane Emily (24. Juni 1948) und Miriam (27. April 1951) geboren wurden. 

Ilse Salomon verstarb 92-jährig am 1. Oktober 2014 in einem Chicagoer Vorort. Sie wurde neben ihrem Ehemann im Shalom Memorial Park in Illinois beigesetzt. Ilses Ehemann Rolf war bereits 40 Jahre zuvor, am 12. Juli 1964, in Chicago einem Herzinfarkt erlegen.

Wenn es ihr gesundheitlicher Zustand erlaubt, wird Jane Salomon Rundell, die Tochter von Ilse und Rolf Salomon, knapp 77-jährig sich von Chicago/USA aus aufmachen, um persönlich bei der Stolpersteinverlegung für ihre Eltern und weitere Verwandte in Jesberg anwesend zu sein. 


Geschrieben von Thomas Schattner


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